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Wo leben die Kinder nach Trennung und Scheidung ihrer Eltern? Residenz-Wechsel-Nest-Modell
Nach einer Trennung werden die Eltern damit konfrontiert, wie sie ihre bisherigen Rollen und Aufgaben in Zukunft wahrnehmen wollen. Dieser Lebenseinschnitt bietet die Chance, künftig etwas anders zu leben, Bewährtes weiterzuführen oder Grenzen neu zu gestalten.
Anders als z.B. skandinavische Länder befindet sich Deutschland in der flächendeckenden Umsetzung von gleichberechtigter Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Mütter und Väter erst im Anfangsstadium. Auch das Bewusstsein in Wirtschaft und Bevölkerung zu mehr Gleichberechtigung ist noch sehr auf traditionelle Rollenverteilungen ausgerichtet.
Es gehört heute zur Lebenswirklichkeit vieler Kinder, dass sich ihre Eltern, egal ob verheiratet oder nicht, trennen. Für alle Beteiligten entstehen durch Trennung Unsicherheiten, weil sich  gewohnte Familienstrukturen plötzlich ändern und alles, was bisher normal und selbstverständlich gelebt wurde, plötzlich neu geregelt werden muss.
Unter anderem müssen die Eltern nach einer Trennung Antworten auf folgende Fragen finden:


1. Wo sollen die Kinder künftig leben? 
 
In der Mehrzahl der Fälle verbleiben Kinder nach der Trennung bei einem Elternteil und der andere hat Umgang.
Folgende Modelle stehen zur Auswahl: Wechselmodell, Residenzmodell und Nestmodell.
Beim Wechselmodellpendeln die Kinder zu (fast) gleichen Teilen zwischen den Wohnsitzen  beider Eltern.
Im (bislang am meisten verbreiteten) Residenzmodell leben die Kinder vorwiegend bei einem Elternteil und der andere Elternteil hat Umgang.
Beim Nestmodellverbleiben die Kinder in der bisherigen Wohnung. Die Eltern leben in eigenen Wohnungen und wechseln sich in der Betreuung der Kinder ab.                                                       
Grundsätzlich können alle drei Modelle dem Kindeswohl entsprechen.
Ab dem 14. Lebensjahr sind Kinder bzw. Jugendliche grundsätzlich bei der Entscheidung über ihren künftigen Lebensmittelpunkt zu beteiligen.


1.1 Notwendige Faktoren bei der Umsetzung ALLER Modelle:

  • Elternkooperation und -kommunikation sowie Erziehungskompetenzen müssen gegeben sein und zum Wohle der Kinder funktionieren. Eltern müssen bereit und in der Lage dazu sein, ihre eigenen Bedürfnisse und alten Verletzungen zugunsten der Kinder zurückzustellen.
  • Eltern müssen überprüfen, welches Modell dem individuellen Entwicklungsstand bzw. den persönlichkeitsbedingten Eigenheiten ihres Kindes am besten entspricht.
  • Können wir als Eltern unserem Kind das von uns favorisierte Modell jetzt zutrauen oder zumuten?
  • Wieviel Zeit braucht unser Kind, um sich auf die neue Situation einzustellen?
  • Was gibt unserem Kind in der jetzigen Entwicklungsphase Halt?
  • Die Beantwortung dieser Fragen erfordert von den Eltern ein hohes Maß an Empathie, Reflexionsvermögen und Verantwortungsbewusstsein.
  • Bei berufstätigen Eltern müssen  Arbeitszeiten mit der Betreuungsform kompatibel sein
  • Neue Familienkonstellationen erfordern neue Entscheidungen und Absprachen z.B. in Patchwork-Familien.
  • Die Kinder sind in jeder Phase in die Entscheidungen mit einzubeziehen. Je älter die Kinder sind, desto größeres Gewicht sollte ihnen in punkto Stimmrecht eingeräumt werden. Welche bestehenden Beziehungen und Bindungen des Kindes sind wesentlich und sollten bei einer Entscheidung berücksichtigt werden (z.B. Heimatort, Zugehörigkeit zu  Gemeinschaften)?


1.2 . Kriterien, die zum Ausschluss eines Modells führen können

  • fehlende elterliche Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft
  • nicht vorhandene materielle Voraussetzungen (z. B. Einkommen, Wohnraum)
  • häusliche Gewalt
  • Misshandlung oder sexueller Missbrauch des Kindes durch einen der Elternteile
  • sonstige sorgerechtsrelevante Hindernisse im Hinblick auf eine altersgemäße Versorgung und Betreuung des Kindes

2. Die Vor- und Nachteile der jeweiligen Modelle
2.1 Das Wechselmodell
2.1.1  Vorteile des Wechselmodells für Kinder und Eltern

  • Jüngere Kinder kommen weniger in Loyalitätskonflikte und empfinden zudem eine annähernd gleiche Aufenthaltsdauer bei beiden Eltern als gerecht.
  • Eine gleichmäßige emotionale Bindung der Kinder zu beiden Elternteilen ist gewährleistet.
  • Die Kinder profitieren von den unterschiedlichen Fähigkeiten der Eltern und haben die Möglichkeit, im gemeinsamen Alltag weiterhin unterschiedliche Rollenbilder zu erfahren.
  • Die Zeit mit den Kindern gibt Eltern die Möglichkeit, am kindlichen Alltag gleichermaßen teilzuhaben.
  • Die kinderfreie Zeit gibt die Möglichkeit, sich für eigene berufliche und private Bedürfnisse und Interessen zu engagieren.
  • Das Wechselmodell ermöglicht beiden Eltern  berufliche Entfaltung und trägt auch so zu einer Elternschaft auf gleicher Augenhöhe bei.
  • Für die bislang gelebten Rollenerfahrungen der Eltern kann das Wechselmodell eine ,,Horizonterweiterung" sein.


2.1.2  Nachteile des Wechselmodells für Kinder und Eltern



  • Wenn die Elternkommunikation nicht funktioniert, kommt dieses Modell nicht in Frage.
  • Das Wechselmodell ist sehr abstimmungsintensiv. Es besteht ein permanenter Organisationsbedarf und -aufwand in Bezug auf die sich laufend verändernden Verhältnisse.
  • Das hohe Maß an Elternkommunikation birgt die Gefahr von erhöhtem Konfliktpotential. Jeder Elternteil erlebt nur (s)einen Ausschnitt des Lebensalltags mit dem Kind. Das Risiko steigt, dass bestimmte Fragen oder Themen nicht bearbeitet werden oder unter den Tisch fallen.
  • Eltern und Kinder können durch das ständige Organisieren überfordert werden.
  • Die Eltern müssen viel investieren, um den Kindern zwei Zuhause bieten zu können: doppelte Wohnung, Kleidung, Spielzeuge etc.
  • Bei den Kindern kann der Eindruck entstehen, ständig unterwegs zu sein. Es kann für sie schwierig werden, ein Gefühl für Zuhause und Heimat zu entwickeln.
  • Behörden, Schulen, und die Arbeitswelt in Deutschland sind bisher nicht flexibel auf die notwendigen Veränderungen im Rahmen eines Wechselmodells eingestellt.
  • Besonders bei pubertierenden Kindern steigt bei diesem Modell die Gefahr, dass sie die Eltern gegeneinander ausspielen.
 2.2 Das Residenzmodell
2.2.1  Vorteile des Residenzmodells für Kinder und Eltern
  • Wenn der Lebensmittelpunkt klar ist, kann Sicherheit und Heimat für die Kinder entstehen
  • Es wird ganz überwiegend ein einheitlicher Erziehungsstil praktiziert
  • Stabiles räumliches Umfeld für die Kinder
  • In hochstrittigen Elternbeziehungen in der Regel die einzige vertretbare Alternative
  • Kostengünstigere Variante im Verhältnis zu den anderen Modellen
  • Entspricht immer noch am meisten den gegenwärtigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
  • Am wenigsten Abstimmungsbedarf im Vergleich zu anderen Modellen
  • Unterhaltsfragen am besten rechtlich geregelt
2.2.2  Nachteile des Residenzmodells für Kinder und Eltern
  • Kinder können unterschiedliche Aufenthaltsdauer als ungerecht oder als Mangel empfinden
  • Emotionale Bindungen sind zum/vom nicht betreuenden Elternteil schwerer aufrecht zu erhalten
  • Kinder können in größere Loyalitätskonflikte kommen
  • Ungleiche Verteilung der Rollen der Eltern und der Förderung der Kinder
  • Einseitige Belastung eines Elternteils
  • Keine Alltagsbegleitung der Kinder durch den nicht betreuenden Elternteil
 2.3 Das Nestmodell
2.3.1  Vorteile des Nestmodells für Kinder und Eltern
  • Gewohntes Umfeld bleibt den Kindern erhalten
  • Keine doppelten Aufwendungen für die Ausstattung der Kinder
  • Ausgewogene Betreuungsanteile der Eltern
  • Kinder profitieren gleichermaßen von den unterschiedlichen Fähigkeiten und Förderungen durch die Eltern
  • Von der Verteilung der Betreuungslast und den damit verbundenen Auszeiten profitieren beide Eltern
2.3.2  Nachteile des Nestmodells für Kinder und Eltern

  • Hohe Toleranz der Eltern bei gemeinsamer Nutzung eines Lebensraums erforderlich
  • Hohe Kosten
  • Große Bereitschaft der Eltern zu Absprachen erforderlich
  • Großer organisatorischer Aufwand
  • Neue Familiengründung für Eltern schwierig
  • Gefahr, dass Verantwortlichkeiten verwässern
  • Konflikte der Eltern werden ins Nest hineingetragen
3.  Ändert sich etwas an unserer Elterlichen Sorge?

Bei verheirateten Eltern haben beide Elternteile die gemeinsame elterliche Sorge für ihre Kinder inne. Unabhängig von den oben genannten Modellen sind beide verpflichtet, sich bei Erziehungsfragen und anderen wesentlichen Belangen ihrer Kinder (z.B. Beschulung, Gesundheit, Lebensmittelpunkt) auszutauschen und gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Sind die Eltern nicht in der Lage sich zu einigen, können sie sich an vermittelnde und  beratende Institutionen (Jugendamt / Erziehungsberatungsstellen) wenden. Führt auch dieser Schritt zu keiner Einigung, kann jeder Elternteil beim Familiengericht einen Antrag stellen. Das Gericht trifft dann die Entscheidungen.

Bei unverheirateten Eltern ändert die Trennung ebenfalls nichts an der elterlichen Sorge.
Wenn nur ein Elternteil die alleinige elterliche Sorge hatte, behält er sie auch nach der Trennung alleine bei. Der andere Teil kann während des Zusammenlebens aber auch nach der Trennung die Mitübertragung der elterlichen Sorge beantragen. Grundvoraussetzung für eine solche Entscheidung ist es, dass die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge auf beide Elternteile dem Kindeswohl nicht widerspricht.
Die Frage der elterlichen  Sorge und des Umgangs hängen nicht voneinander ab.Das Recht und die Pflicht zum Umgang mit den Kindern bestehen unabhängig davon, ob die Eltern ein gemeinsames oder das alleinige Sorgerecht haben.

4.  Ist Kindeswunsch auch gleichzeitig Kindeswohl?

In der Regel wollen Kinder nach der Trennung weiterhin mit beiden Elternteilen zusammenleben. Dies kollidiert mit den Bedürfnissen der Eltern.
Oft orientieren sich Eltern  an den Wünschen ihrer Kinder, ohne zu hinterfragen, ob diese auch dem Wohl der Kinder dienen.
Die Eltern sind verpflichtet, Lösungen zu finden, die sowohl ihre eigenen Bedürfnisse berücksichtigen als auch dem Kindeswohl entsprechen.
Können sich Eltern nicht einigen, geraten Kinder in einen Loyalitätskonflikt, sind hin- und hergerissen, ziehen sich zurück oder äußern Wünsche, die unter Umständen nicht dem Kindeswohl entsprechen.
Quellen von Kinderwünschen können z.B. sein:  Solidarisierungen, Gerechtigkeitsempfinden, Projektionen, Harmoniebedürfnis, Sorge um einen Elternteil etc.

5.  Welche Aufgaben stellen sich uns Eltern in der Zukunft?

  • Eine gute Elternkommunikation und -kooperation ist sehr wichtig und hilft auch bei den Herausforderungen der Zukunft.
  • Die getrennt lebenden Eltern sollen dem Kind das Gefühl vermitteln,  dass jeder Elternteil im jeweils anderen Zuhause einen Platz haben und damit emotional präsent sein darf.
  • Da sich die Regelungen zum Umgang oder das faktische Umgangsverhalten immer wieder ändern werden, sollen die Eltern flexibel damit umgehen.
  • Wenn Kinder älter werden  und sich mehr an Gleichaltrigen orientieren, haben Eltern diesen Ablösungsprozess zu begleiten und damit angemessen umzugehen.
  • Es können sich neue Herausforderungen ergeben, wenn Eltern sich neu verlieben  und  unter Umständen auch eigene Kinder mit dem neuen Partner haben oder andere Partner zum Beispiel eigene Kinder mitbringen.

6.  Wo bekommen wir Eltern Beratung und Hilfe?

Beratung und Hilfen bekommen Eltern von Beratungsstellen, Jugendämtern  und Rechtsanwälten und Familiengerichten.

7.  Gesellschaftlicher und politischer Veränderungsbedarf

  • Familienfreundlichere und flexiblere Rahmenbedingungen (z.B. bzgl. Arbeitszeiten und Entlohnung)
  • Flächendeckende  Ganztagsbetreuungen für Kinder
  • Mehr Akzeptanz von unterschiedlichen Familien- Lebens- und Wohnmodellen in der Gesellschaft, bei Behörden und der Justiz

8.  Wer ist der Arbeitskreis KiTS?

Wir sind ein multiprofessioneller Arbeitskreis für Kinder im Trennungs- und Scheidungskonflikt, ansässig in Ulm/Neu-Ulm, mit Fachprofessionen wie Richtern, Rechtsanwälten, Verfahrensbeiständen sowie MitarbeiterInnen von Jugendämtern und Beratungsstellen.
Unser Ziel ist der interprofessionelle Austausch über die Stellung der Kinder in Trennungs- und Scheidungsverfahren sowie die Verbesserung ihrer Situation.

Quelle: www.trennungskind.de